Leonhard Eißnert: Vom Reichenberger Schreinergesellen zum Offenbacher Ehrenbürger
Auf dem Bieberer Berg in Offenbach, gleich neben dem Fußballstadion der Offenbacher Kickers, liegt der Leonhard-Eißnert-Park, ein etwa 22 ha großer Volkspark, von den Einheimischen oft kurz als „der Leo“ bezeichnet. Nicht viele, die sich dort erholen, werden noch wissen, wer der Namensgeber ist. Dabei gäbe es gute Gründe, sich an Leonhard Eißnert zu erinnern.
An der Wiege gesungen wurde ihm seine Karriere weiß Gott nicht. Geboren wurde er am 12. Juni 1866 in Reichenberg, „Haus-Nr. 39“, als unehelicher Sohn des Lindflurer Bauern und Bierbrauers Johann Georg Eißnert und der Anna Magdalena Brand. Acht Jahre später, im Mai 1874, heirateten die beiden dann. Viel konnten wir über die Kindheit und Jugend Eißnerts noch nicht in Erfahrung bringen. Er lernte auf jeden Fall das Tischlerhandwerk und machte seine Gesellenprüfung.
Im Jahr 1887, im Alter von 21 Jahren zieht Eißnert nach Offenbach, einer aufstrebenden Industriestadt, die gute Arbeitsmöglichkeiten bot. Im folgenden Jahr, 1888, tritt er dem Arbeitergesangverein „Lassallia Union“ bei, dessen Vorsitzender er später wird. Im gleichen Jahr tritt er in den „Sozialdemokratischen Verein“ zu Offenbach ein. 1896 übernimmt er dessen Vorsitz, ein Jahr später den SPD-Vorsitz im gesamten Kreis Offenbach.
1898 wird Eißnert in die Offenbacher Stadtverordneten-Versammlung gewählt, 1901 in den Kreistag. Bei der Kommunalwahl 1904 erringt die SPD 24 der 36 Sitze in der Stadtverord-neten-Versammlung, und so können die Sozialdemokraten, als die Amtszeit eines unbesoldeten Beigeordneten abläuft, Eißnert als ihren Kandidaten nominieren. Bei der Wahl am 6. Juli wird Eißnert mit 2/3-Mehrheit gewählt. Was uns heute als völlig normal erscheint, war damals eine Sensation, ja ein Skandal. Ein Roter im Stadtvorstand ! Die Offenbacher Zeitung lästert über den „ehrsüchtigen Revoluzzer“, die Konservativen vertrauen darauf, dass die großherzogliche Regierung ihm die Bestätigung verweigern wird, so wie kurz zuvor dem in Mühlheim gewählten Beigeordneten Zahn. In Offenbach kommt es aber anders.
Nach einem Gespräch im Ministerium, bei dem Eißnert sich offenbar große Achtung verschaffen konnte, wird er vom Großherzog Ernst Ludwig in seinem Amt bestätigt:
„Ernst Ludwig, von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein pp. Nachdem Wir uns gnädigst bewogen gefunden haben, die von der Stadt-verordnetenversammlung zu Offenbach vollzogene Wahl des Stadtverordneten Leonhard Eißnert zum unbesoldeten Beigeordneten daselbst kraft dieses zu bestätigen, so ist hiernach gebührend zu achten. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedrückten Großherzoglichen Siegels. Darmstadt, den 10ten Oktober 1906. Ernst Ludwig. gez. Braun“
Die bürgerliche Presse tobt, gibt dem Großherzog den Schmähtitel „Roter Großherzog“, die Nationalliberalen organisieren Protestveranstaltungen und beschwören den Untergang des Vaterlands herauf. „Dass eine Magistratsperson bestätigt wird, die einer Partei angehört, welche offen die jetzige Staats- und Gesellschaftsordnung bekämpft und auf deren Beseitigung hinarbeitet“, ist unerhört. Der Großherzog aber besteht auf Recht und Gesetz und danach war Eißnerts Ernennung zu bestätigen.
Leonhard Eißnert aber begibt sich an die Arbeit, ruhig, beharrlich und zielsicher. Der Ober-bürgermeister Brink lässt ihn nur gelegentlich vertretungsweise tätig sein. Sein Nachfolger Dr. Dullo gibt Eißnert immerhin ein eigenes kleines Dezernat, die Friedhofsverwaltung. Eißnert nutzt die Chance. Im damals ziemlich verlotterten alten Friedhof sorgt er für ordentliche Wege und Anlagen, später setzt er unentgeltliche Bestattungen durch.
Als „Grünanlagen-Dezernent“ beginnt er schon 1910 mit der Planung des Waldparks auf dem Bieberer Berg, Arbeitslose bauen die Wege und kommen so zu Arbeit und Brot. 1913 wird der erste Abschnitt fertiggestellt. Das Ziel ist, „grüne Lungen“ zu schaffen, in denen sich die Arbeiter, nach der anstrengenden Maloche im Staub und Dreck der Fabriken, im Freien erholen können.
1911 wird er zusammen mit Carl Ulrich als Abgeordneter in die II. Kammer der hessischen Stände (Vorläufer des Landtags) gewählt, später wird er auch Fraktionsvorsitzender seiner Partei.
Im ersten Weltkrieg muss er den Baudezernenten Weil vertreten, der zur Armee eingezogen wurde. Eißnert entwirft einen Erbbaurechts-Vertrag, damit auch die kleinen Leute zu einem eigenen Heim kommen können. Zur Behebung der Wohnungsnot lässt er neue Straßen und Wohnbauten planen, ja eine ganze neue Siedlung plant er. Der ehrenamtliche Gründezernent wird zum erfolgreichen Stadtgestalter.
Der Krieg bringt für ihn noch ganz andere Aufgaben: Als Leiter des Familienausschusses organisiert er Hilfen für die Familien, deren Väter an der Front sind. Er initiiert eine „Kohlen-ausgleichsstelle“, um dem Mangel an Kohlen abzuhelfen, und besorgt Brennholz aus dem Landkreis. Für Arbeitslose schafft er Beschäftigung im Anlagenbau, so wird der Waldpark erweitert und fertiggestellt, er richtet Werkstätten wie Nähstube und Schuhreparaturwerkstatt ein.
Seine Wiederwahl 1918 erfolgt nun einstimmig. 1920 wird seine unbesoldete Stelle in eine besoldete umgewandelt.
1919 in die Hessische Volkskammer gewählt, wird er Vorsitzender des Finanzausschusses und Sprecher zur neuen hessischen Verfassung. 1921 kandidiert Eißnert wegen Arbeits-überlastung nicht mehr für den Landtag, dem er 10 Jahre angehört hatte.
1928 wird Eißnert zum Bürgermeister berufen, dieses Amt bekleidet er bis 1932.
Für seine großen Verdienste um die Stadt wird er 1948 mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet.
Leonhard Eißnert stirbt am 10. März 1949 in Offenbach.
Mehr zu Leonhard Eißnerts Leben und Wirken und auch zu seinem Privatleben und seiner Persönlichkeit kann man in einem kleinen Büchlein nachlesen: „Der erste Rote im Offenbacher Magistrat“ von Wolfgang Reuter und Günter Geh. Darin stehen auch eine ganze Reihe persönlicher Aufzeichnungen Eißnerts. Wenn es Sie interessiert - wir leihen es gerne aus.