110 Jahre SPD in Reichenberg – Mit uns zieht die neue Zeit!
Am 16. März 1910 trafen sich im Gasthaus „Schwarzen Adler“ in Reichenberg 17 Arbeiter und gründeten den Ortsverein der SPD. Was heute ganz normal erscheint war damals außerordentlich mutig. Mit seinen 680 Einwohnern war Reichenberg 1910 im Wesentlichen landwirtschaftlich geprägt. Die Arbeiter waren eine kleine Minderheit. Es gehörte also eine gehörige Portion Mut zu dieser Gründung, zumal eine sozialdemokratische Gesinnung in dieser Zeit häufig noch als staatsgefährdend galt.
Trotzdem konnte innerhalb weniger Jahre eine stabile und aktive Keimzelle der Sozialdemokratie in Reichenberg aufgebaut werden.
Es begann bis in die Gegenwart eine wechselvolle Geschichte in Deutschland, Bayern und auch in Reichenberg. Beispielhaft sind zu nennen: Der Sturz der Monarchie 1918 mit Gründung der Weimarer Republik, die Ausrufung des Freistaates Bayern 1919 durch den Sozialdemokraten Kurt Eisner, zur Linderung der Wohnungsnot wurde 1920 eine Reichenberger Baugenossenschaft gegründet, an die noch heute der Genossenschaftsweg erinnert. Der monatliche Mitgliedsbeitrag betrug in dieser Zeit 30 Pfennig, was etwa einem Stundenlohn entsprach und eine große Opferbereitschaft bedeutete.
Bald folgte das finsterste Kapitel deutscher Geschichte, die Nazi-Herrschaft. Sie führte zu Nachstellungen und zur Verfolgung von Sozialdemokraten. Zwei Mitglieder der Reichenberger SPD wurden von den braunen Machthabern inhaftiert. Die Traditionsfahne des Ortsvereins musste versteckt werden. Sie wanderte über Höchberg nach Regensburg von wo sie1945 nach Reichenberg zurückkehrte, wo sie bis heute gehegt und gepflegt wird.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Reichenberg zu einer Bastion der Sozialdemokratie im Raum Würzburg. 1972 wurde mit Bernd Wiesler erstmals ein Sozialdemokrat zum Bürgermeister gewählt. Es folgten Walter Dosch 1978, 1984 und 1990, sowie Stefan Hemmerich 2014 und 2020. Dazu kamen mit Georg Weppert, Adolf Götzelmann, Walter Dosch und Gerhard Hartmann vier Kreisräte aus den Reihen des Ortsvereins.
Es gäbe als reichlich Grund in diesem Jahr das 110-jährige Bestehen gebührend zu feiern. Doch leider stehen die Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie und die dadurch fehlende Planungssicherheit der Vorbereitung einer solchen Veranstaltung entgegen.
Gegenwärtig sind wir durch die Pandemie mit der Einschränkung von Grundrechten, wie z. B. der Versammlungsfreiheit konfrontiert. Mitgliederversammlungen und auch Vorstandssitzungen sind nicht wie gewohnt möglich. Mit Hilfe der Digitalisierung finden unsere Vorstandssitzungen jetzt in Form von Videokonferenzen statt, getreu dem Refrain „Mit uns zieht die neue Zeit“ aus der SPD-Hymne „Wann wir schreiten Seit an Seit.“ Es wurden vom Vorstand mehrere einstimmige Beschlüsse gefasst. So wird in diesem Jahr auf eine Jubiläumsfeier verzichtet. Auch die am 20. Juni geplante Wahlini Sommerparty fällt der Corona-Krise zum Opfer. Die Preisverleihung für die vollgeklebten Sammelhefte soll auf jeden Fall nachgeholt werden. Thematisiert wurden auch die Zukunft der Sparkassen- und der Postfiliale. Beide sind aus Sicht der Reichenberger SPD trotz Digitalisierung unentbehrlich. Deshalb wurde der Hinweis von Bürgermeister Stefan Hemmerich auf ein baldiges Post-Provisorium in Form einer Containerlösung in der Bahnhofstrasse sehr begrüßt. In Sachen Sparkasse hofft man auf den Einfluss des Kreistages, der durch die Entsendung von Verwaltungsräten einen direkten Einfluss in diese Bank besitzt. Die mangelnde Kommunikation vorab läßt jedoch erahnen, wie schwer es wird in der Vorstandsetage eine Kompromissbereitschaft zu erreichen.
Einig war man sich auch darin, dass anstelle des 110-jährigen - im nächsten Jahr das 111-jährige Bestehen gefeiert werden soll. Auch am Ferienspielplatz 2020, so er denn stattfinden kann, will sich der Ortsverein wieder beteiligen.
Gerhard Hartmann