Historisches: Die jüdische Gemeinde in Reichenberg

Ausführliches zur Geschichte des Marktes Reichenberg hat vor Jahren Ulrich Rüthel im Mitteilungsblatt geschrieben. Dies können und wollen wir hier nicht nachahmen. Wir wollen statt dessen anregen, dass im Internet-Auftritt der Gemeinde eine Rubrik „Geschichte des Marktes Reichenberg“ eingerichtet wird, in der die damaligen Artikel wieder zugänglich gemacht werden!

Hier wollen wir statt dessen einzelne interessante Themen präsentieren, was immer uns interessant und lesenswert erscheint.

Der erste Artikel beschäftigt sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Reichenberg vor dem 3. Reich. Weitere Themen sind in Vorbereitung. Für Anregungen und Informationen sind wir natürlich immer dankbar.

"Die jüdische Gemeinde in Reichenberg"

Bis 1942 bestand auch in Reichenberg eine jüdische Gemeinde, wie in fast allen Orten. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 16. Jahrhunderts zurück. 1587 wird erstmals ein jüdischer Einwohner genannt: Abraham Jud, der für einen Hof in Hattenhausen abgabepflichtig war. 1612 wohnten drei, 1659 fünf jüdische Familien in Reichenberg. 1774 waren es 21 jüdische Haushaltungen. 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Zahl der jüdischen Einwohner am höchsten, 1814 wurden 133 gezählt, das war fast ein Drittel der Einwohner Reichenbergs (428).

Wie jede Gemeinde erstellte auch die jüdische 1817 ein genaues Verzeichnis ihrer Mitglieder, eine sogenannte Matrikel. Darin sind neben den (neu vergebenen) Familiennamen auch die Berufe der Haushaltsvorstände genannt: Viele trieben Kleinhandel und anderen Warenhandel, einige waren Viehhändler und Metzger, aber auch Goldsticker und Seifensieder waren dabei. Vier von ihnen waren mit der Berufsbezeichnung „Schmuser“ eingetragen, also eine Art Heiratsvermittler.

An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule und eineine „Mikwe“, d.h., ein rituelles Bad. Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Allersheim beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schächter tätig war. Ein jüdischer Lehrer wird bereits in der Matrikelliste von 1817 genannt: Salomon Maier Stern, der am 6. Februar 1831 verstorben ist. Um 1882 wird Lehrer Friedlein genannt, um 1905 Lehrer Abraham Sonn (geb. 1840 in Schweinshaupten; war zuvor Lehrer in Mainstockheim und Theilheim, gest. 1932 in Würzburg). 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien, insbesondere nach Würzburg und in andere Städte. Bereits in der Matrikelliste von 1817 wird als Nachtrag von etwa 1825 bei Marx Salomon Berg und Abraham Seligmann Seelmann vermerkt: "hält sich in Würzburg auf".

Im Krieg 1870/71 nahmen aus der jüdischen Gemeinde Lippmann Hess und Levi Hess teil. Ihre Namen stehen auf dem Kriegerdenkmal für die Kriegsteilnehmer der Kriege 1866 und 1870/71. Das Gefallenendenkmal für die Gefallenen der Weltkriege daneben enthält keine Namen. Gefallen sind im Ersten Weltkrieg aus der jüdischen Gemeinde: Sgt. Isaak Krebs (geb. 4.8.1888, gef. 3.11.1918) und Sally Krebs (geb. 3.3.1897 in Reichenberg, gef. 27.10.1918).    

1933 wurden 35 jüdische Einwohner am Ort gezählt (4,4 % von insgesamt 802 Einwohnern). Nach 1933 ging die Zahl der jüdischen Einwohner zunächst nicht zurück. Im Frühjahr 1937 hatte die Gemeinde 40 Mitglieder, von denen inzwischen allerdings 18 (fünf Familien) auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts aus der Hilfskasse der Gemeinde unterstützt werden mussten. Erst 1938 kam es zu Auswanderungen von Gemeindegliedern (bis 1940 sind zehn Personen in die USA emigriert, eine Person nach England). Beim Novemberpogrom 1938 blieb zwar die Synagoge verschont. Die jüdischen Männer des Ortes wurden jedoch verhaftet, in das Gefängnis nach Würzburg verbracht und schließlich in das KZ Buchenwald verschleppt, wo einer von ihnen umgekommen ist. Zu neuen Ausschreitungen kam es in Reichenberg am 24. November 1939. Nun wurden die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört sowie die Türen und Fenster der sechs jüdischen Häuser in Reichenberg zertrümmert. Einen Monat danach beging ein Gemeindeglied Selbstmord. Im Februar 1942 lebten noch 20 jüdische Personen in Reichenberg. Zwölf wurden am 24. April über Würzburg nach Izbica bei Lublin deportiert und ermordet. Im Mai 1942 wurden sechs weitere Personen ebenfalls nach Würzburg verbracht. Von ihnen wurden drei im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt verschleppt, zwei im Juni 1943 nach Auschwitz. Zwei Schicksale konnten nicht aufgeklärt werden. 

Von den in Reichenberg geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen: Fanny Bach geb. Reiss (1870), Marianne (Mirjam) Bach (1876), Sara Burchardy geb. Krebs (1861), Lina Elbogen geb. Hess (1880), Janette (Jenni) Fried geb. Hess (1882), Cäcilie Hess (1891),  Isaak Hess (1885), Jeanette (Jenny) Hess geb. Hess (1876), Lina Kahn geb. Uhlfelder (1882), Benno Krebs (1881), Benjamin Krebs (1888), Erich Krebs (1926), Finny Krebs (1913), Flora Krebs (1921), Frieda Krebs geb. Krebs (1908), Gertrud Krebs (1922), Julius Krebs (1923), Manfred Krebs (1923), Maria Krebs geb. Uhlfelder (1881), Marianne Krebs (1876), Max Krebs (1885), Olga Krebs geb. Salin (1893), Rosa Krebs geb. Bravmann (1894), Salie Krebs geb. Frank (1855), Sigmund Krebs (1886), Sofie Krebs geb. Gutmann (1894), Sussmann Krebs (1890), Walter Krebs (1924), Johanna Sauer geb. Hess (1892), Frieda Schaap geb. Krebs (1908), Isaak Uhlfelder (1885). 

Die Synagoge

Zunächst war vermutlich ein Betsaal oder eine erste Synagoge vorhanden. 1797 wurde eine Synagoge erbaut (heutige Adresse: Schindersberg 11). Sie war für fast 140 Jahre Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens am Ort.     Im Dezember 1924 wurden aus der Synagoge Silbergeräte, Becher und andere wertvolle Ritualien gestohlen.

Beim Novemberpogrom 1938 blieb die Synagoge verschont. Am 24. November 1939 (!) wurde bei neuen Ausschreitungen am Ort die Inneneinrichtung der Synagoge durch SA-Leute zerstört. Danach wurde das Gebäude zunächst als Holzlager und später als Stofflager der Wehrmacht zweck­entfremdet.   

Das Synagogengebäude blieb nach 1945 erhalten. Nach Abschluss des Restitutionsverfahrens wurde das Gebäude 1949 von der JRSO an die Katholische Kirchengemeinde verkauft und von dieser nach einem Umbau von 1950 bis 1972 als katholische Kirche genutzt, danach zu einem bis heute bestehenden Wohnhaus umgebaut.     Am Gebäude ist eine Hinweistafel vorhanden mit dem Text: "1797-1938 Synagoge, 1950-1972 Katholische Kirche St. Bonifatius". 1988 wurde eine weitere Tafel mit folgendem Text angebracht: "Zum Gedenken an unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger. 'Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt, nicht brennender geliebt haben'. (Stuttgarter Erklärung der EKD, 1945). Reichenberg, den 9. November 1988. Evang.-Luth. Kirchengemeinde Reichenberg." 

Quelle: http://alemannia-judaica.de/reichenberg_synagoge.htm